Das Böse sichtbar machen

Gepostet von am 26. September 2012

Das Böse sichtbar machen

Korruption und organisiertes Verbrechen sind das, was viele Deutsche mit Rumänien verbinden. In Bukarest hat ein Team investigativer Journalisten seine ganz eigenen Methoden, dagegen anzukämpfen: Sie decken Netzwerke auf und machen sie sichtbar. Datenjournalismus at it’s best.

RISE-Gründer Paul Radu

Zwei Tische, Graffiti, Mindmaps und ein Fahrrad in der Ecke: Das ist das Reich vom RISE-Projekt. Paul Radu beugt sich über seinen Laptop, er sieht eher aus wie ein Surfer – nicht, als würde er Kriminelle jagen. Paul hat das RISE-Projekt ins Leben gerufen: ein Kollektiv zwölf investigativer Journalisten, das sich auf organisiertes Verbrechen und Korruption spezialisiert hat. Paul ist 36 und hat schon als Kind Bücher mit Enthüllungsgeschichten verschlungen: wie das von Brad Bradlee über den Watergate-Skandal. Einen Skandal von diesem Ausmaß hat Paul noch nicht aufgedeckt – aber die Liste mit Auszeichnungen für seine investigative Arbeit ist lang.

Unabhängig vom System

„Wir haben RISE als unabhängiges Medium gestartet, um Journalisten einen Ort zu bieten, wo sie frei recherchieren und publizieren können“, sagt Paul. Denn investigativen Journalismus gebe es in Rumänien kaum. Das läge vor allem daran, dass viele Medienhäuser von korrupten Oligarchen aufgekauft wurden, die die Rechercheredaktionen abgebaut hätten. Pauls Kollege Ionut Stanescu hat das selbst erlebt: Er hat bei einer der größten Tageszeitungen, Evenimentul Zilei, in einer sechsköpfigen Rechercheredaktion gearbeitet. 2010 wurde die Zeitung von Bobby Păunescu gekauft, der laut RISE keine weiße Weste hat und die Redaktion dichtmachte:

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Logo von RISE

Das Puzzle zusammensetzen

Egal ob Betrug oder Geldwäsche: „Wir reden hier von high-level organized crime“, stellt Paul gleich am Anfang klar. Organisationen von diesem Kaliber machen nicht an der rumänischen Grenze Halt, sondern agieren grenzüberschreitend. Nationale Strafverfolgung gerät da oft an ihre Grenzen. „Stell dir vor, eine kriminelle Gruppe operiert in Rumänien, Iran und den USA. Es dauert viel zu lange, bis sich die ermittelnden Stellen koordinieren!“ Genau dort könne investigativer Journalismus ansetzen: Netzwerke aufbauen, Informationen austauschen, Daten analysieren – und schließlich alle Puzzleteile zusammensetzen. „Natürlich ersetzen wir nicht die Arbeit der Polizei. Aber wir können der Öffentlichkeit Informationen zur Verfügung stellen.“ Informationen, die Konsequenzen haben.

Netzwerke sichtbar machen

Netzwerke der Proxy Platform

Im Projekt „Proxy Platform“ beispielsweise enttarnten die RISE-Journalisten in Kooperation mit dem OCCRP ein Netzwerk von Geldwäschern, das mit Strohmännern in Neuseeland arbeitete. Die Regierung von Neuseeland reagierte, indem sie gut 1600 Unternehmen dichtmachte, erzählt Paul. So spannend die Arbeit auch ist – die faktenlastigen Artikel können sehr trocken sein, gibt Paul zu. Deshalb komprimieren die Datenjournalisten die Rechercheergebnisse in anschaulichen Grafiken – wer wo die Finger im Spiel hat, ist dann auf einen Blick sichtbar, und zwar für jedermann. Denn die Grafiken veröffentlicht RISE online. Das kann auch großartige Langzeiteffekte haben, sagt Paul, weil die Ergebnisse gut dokumentiert kann:

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Wissen weitergeben

Laura Ranca, Paul Radu und Ionut Stanescu

Die Journalisten vom RISE-Projekt wurden vielfach für ihre Recherchen ausgezeichnet. Doch statt sich auf ihren Lorbeeren auszuruhen, wollen sie ihr Wissen über Datenjournalismus an andere Journalisten weitergeben. Deshalb arbeitet Pauls Kollegin Laura Ranca am Projekt Visual Investigative Scenarios (VIS). Zusammen mit Designern und Programmierern entwickelt sie eine Software, mit der Journalisten selbst Zeitleisten, Karten oder interaktive Grafiken aus ihren Rechercheergebnissen erstellen können. Außerdem erstellt Ionut Stanescu derzeit ein kostenloses Handbuch, das erklärt, wie man an Daten, Berichte oder Gesetzestexte aus Rumänien und Moldawien kommen kann. Vor allem jungen Journalisten soll der Datenjournalismus so näher gebracht werden.

Viel Luft nach oben

Im kleinen Büro in Bukarest passiert das, wovon viele Redaktionen weltweit noch träumen. Die Expertise von RISE ist längst zum Exportschlager geworden: Paul ist gerade erst aus Mexiko zurückgekommen, wo er Seminare für Journalisten gegeben hat. Im Juni saß er in der Jury vom ersten internationalen Datenjournalismus-Award in Paris. Dort hat er Anwendungen aus aller Welt gesehen, die gut waren. Viele waren aber noch zu verspielt, sagt Paul. Seiner Meinung nach muss Datenjournalismus einen Effekt haben:

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Auch das nächste Projekt von RISE soll etwas bewirken. Worum es genau geht, will Paul noch nicht verraten: work in progress. Erst nächste Woche soll die Bombe platzen. Bei aller Datentransparenz: Auch RISE hat seine Geheimnisse.

Den Beitrag im MedienMagazin vom Bayrischen Rundfunk gibt es hier zum Nachhören.

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