Baustelle Gesundheit

Gepostet von am 24. September 2012

Baustelle Gesundheit

„Gebt uns unsere Ärzte zurück“, rief uns einmal ein wütender Rumäne zu. Zu Recht: Seit dem EU-Beitritt haben gut 10.000 ausgebildete Ärzte das Land verlassen. Kein Wunder, wenn sie dort das Zehnfache ihres rumänischen Gehalts bekommen. Aber die schlechte Bezahlung ist nicht das einzige Geschwür, mit dem das Gesundheitssystem zu kämpfen hat.

Medizinjournalistin Claudia Spridon

Wir haben oft die gleiche Geschichte gehört: Wer in Rumänien krank wird, fährt zur Behandlung lieber ins europäische Ausland, zum Beispiel nach Österreich oder Ungarn – zu schlecht ist der Ruf der rumänischen Krankenhäuser. Auch Claudia Spridon geht nur wegen ihres Berufs ins Krankenhaus, nicht als Patientin. Die 26-Jährige ist Fachjournalistin für Medizin und Gesundheit. Sie weiß gar nicht, wo sie anfangen soll, wenn es um die Probleme im Gesundheitssektor geht.

Europäisches Schlusslicht

Das größte und offensichtliche Problem ist die Unterfinanzierung. Rumänien gibt so wenig wie kein anderes Land in der EU für Gesundheit aus: nur 3,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Zum Vergleich: Die Ausgaben für Gesundheit lagen in Deutschland 2010 bei 11,6 Prozent. Die geringen finanziellen Mittel haben weitreichende Folgen: Mangelnde technische Ausstattung in Krankenhäusern und veraltete Gebäude, die Mehrheit der Krankenhäuser ist älter als fünfzig Jahre.

Abwanderung der Ärzte

Dazu kommt der akute Personalmangel. 2011 haben laut der Ärztevereinigung CMR 2841 Mediziner einen Antrag auf Bescheinigung zur Anerkennung ihres Berufs im Ausland gestellt. Erstes Wunschziel war Deutschland, gefolgt von Frankreich und Großbritannien. Der Vorsitzende der Ärztevereinigung Vasile Astărăstoae beklagte im September, dass allein in diesem Jahr 1605 Ärzte das Land verlassen haben. Das Durchschnittsgehalt eines Arztes liegt in Rumänien bei ca. 250€. Ein Gehalt, das zwar über dem Mindestlohn liegt, aber kaum zum Leben reicht. Es ist nach wie vor üblich, dass Patienten dem Arzt ein kleines Geschenk bei der Behandlung dalassen: Vom Paket Kaffee bis zum üppigen Extrahonorar.

Ergebnisse EHCI 2012

Folgen für die Patienten

Die massive Abwanderung der rumänischen Ärzte schlägt sich in langen Wartezeiten, Überstunden für das verbliebene Personal und schlechten Behandlungsergebnissen nieder. Dies ermittelte auch das diesjährige Ranking des Euro Health Consumer Index (EHCI), der die Patientenfreundlichkeit der Gesundheitssysteme misst. Er berücksichtigt unter anderem die Patientenrechte, den Zugang zu Information, Wartezeiten und die medizinischen Resultate der Behandlungen. Rumänien landet hinter Bulgarien und Serbien auf dem drittletzten Platz. Der Bericht bemängelt, dass auch die EU bisher keine große Veränderung erreichen konnte:

„European healthcare is far from equal. The lack of progress among the weakest EU members should worry Brussels, as EU investments so far have proven little equalizing effect!”

Bemühungen der EU

Dabei sind die Ziele der EU eindeutig: Der Standard bei den neuen Mitgliedern wie Rumänien soll nach und nach auf das EU-Niveau gehoben werden. Mehr als 147 Millionen Euro stellt sie von 2007 bis 2013 bereit, um den Zugang zur Behandlung, die Prävention und Qualität zu verbessern und die Modernisierung der Krankenhäuser zu unterstützen. „Es gab Fortschritte, zum Beispiel bei Präventionskampagnen sind die EU-Hilfen spürbar. Aber für viele ist es unmöglich, den Eigenanteil von 10-15% vom einem Projektvorhaben aufzubringen, sodass sie keine Mittel abrufen können“, sagt Claudia Spridon.

Private Initiativen geben Hoffnung

Observatorul Roman de Sanatate

Nicht der Staat und nicht die EU sind das, was dem Gesundheitssystem momentan hilft, findet Claudia Spridon. Es sind die privaten Initiativen, Vereinigungen und NGOs, die ihr Hoffnung geben. Zum Beispiel ist mithilfe einer norwegisch-rumänischen Kooperation ein Zentrum für seltene Krankheiten in Zalau entstanden, wo Patienten kostenlos behandelt werden. Spridon ist begeistert von den Bedingungen dort: „Das sind EU-Standards, die man in keinem staatlichen Krankenhaus in Rumänien findet!“ Auch sie hat mit zwei Kollegen eine Initiative gegründet, die an der Verbesserung des Gesundheitssystems mithelfen will: Observatorul Roman de Sanatate. Mit ihren Kollegen veröffentlicht sie wissenschaftliche Studien zur Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems, um Schwachstellen aufzuzeigen. „Es gibt in Rumänien über 2.000 Initiativen, die sich im Kleinen engagieren. Die Zivilgesellschaft hat sich stark entwickelt!“

Claudia Spridon zu Eigeninitiativen junger Rumänen:

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Weitere Einschätzungen von Claudia Spridon im Interview:

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Headerbild: Flickr CC jasleen_kaur

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