Seit mehr als 20 Jahren leben Gina und Ginel auf 2200 Metern Höhe. Gina hat die Berge seit 13 Jahren nicht verlassen, Ginel erledigt nur die nötigsten Einkäufe im Tal. In ihrer kleinen Hütte trotzen sie den kältesten Wintern – im Sommer den Touristen. Ein Besuch bei zwei Aussteigern.
Schwebefahrt in die Berge
Eine schwankende grüne Seilbahn bringt uns zu Gina und Ginel, innerhalb von 15 Minuten überwinden wir 1350 Höhenmeter. Anton hält sich mit beiden Händen an einer Stange fest, er traut dem Baujahr 1978 nicht so recht. Besorgt schaut er auf die Klippen, die unter uns vorbei ziehen. Aber der Fußweg hätte gut sechs Stunden gedauert, mit unserem Gepäck wahrscheinlich zehn. Wir kommen etwas blass aber wohlbehalten in im Bucegi-Gebirge an. Dort weht ein eiskalter Wind, was wir von den letzten spätsommerlichen Wochen nicht mehr gewohnt sind. Von der Bergstation bis zu Gina und Ginel sind es zum Glück nur ein paar Meter.
„Mountain means everything“
„Traurigkeit untersagt“ steht an der Tür von Gina und Ginels Wohnstube. Ginel begrüßt uns überschwänglich, er hat mehr Lachfalten um die Augen, als wir zählen können. „Gut, dass ihr jetzt gekommen seid, das Wetter wird bald schlechter werden“, sagt er mit einem Kennerblick gen Himmel. Er muss es wissen – schließlich ist er Meteorologe und hat jahrelang auf der nah gelegenen Wetterstation Omu gearbeitet. Dort hat er Gina kennengelernt, gemeinsam kehrten sie dem Tal den Rücken. Sie verkauften beide ihrer Häuser, heirateten auf dem Berg und bauten zusammen die kleine Hütte, in der sie uns empfangen.
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Touristenschwärme ohne Respekt
Der Berg Bucegi, auf dem Gina und Ginel wohnen, kennt in Rumänien jedes Kind. Denn dort stehen zwei besondere Gesteinsformationen: Babele und Sphinx, die von Wind, Wasser und Schnee geformt wurden. Auch Anton kennt sie noch aus der Schule. Babele heißt auf Deutsch „Großmütterchen“ – mit viel Fantasie sehen die Steine aus wie eine Gruppe alter Damen. Die Sphinx ist zwar nicht ganz so riesig wie die in Ägypten, hat aber das gleiche Nasenproblem. Um die beiden Gesteine zu bestaunen, kommen mit der Seilbahn aber auch jede Menge Touristen. Vielen fehle der Respekt vor den Bergen und der Natur, sagt Ginel:
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Das sei aber überall in den Bergen so. Auch wenn Ginel selten ins Tal geht, weiß er das: Die Wand der Hütte ist voll mit Andenken aus aller Welt. In den 20 Jahren, die Gina und Ginel in den Bergen leben, haben sie viele Freunde und Bekannte bewirtschaftet. Die Mentalität der Menschen habe sich aber verändert, sagt Ginel:
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Sechs Meter Schnee im Winter
„Die Leute, die im Sommer für einen Ausflug hier hochkommen, sollten mal ein ganzes Jahr bleiben“, sagt Ginel mit einem Grinsen. Denn das Leben sei zwar schön, aber auch extrem hart, vor allem im Winter. Letztes Jahr versank die Hütte in sechs Meter hohem Schnee, sodass die Tür blockiert war und Ginel aus dem Fenster klettern musste. Bei solchen Temperaturen fährt natürlich auch die Seilbahn nicht mehr. Die einzige Möglichkeit ins Tal zu kommen, ist auf Skiern. Zurück geht es nur zu Fuß. Mit Wasserkanistern, Essen und Skiern auf dem Rücken ist das echter Extremsport. Vor allem, wenn man 61 Jahre alt ist wie Ginel. Manchmal spielt er mit dem Gedanken, ob es nicht doch einfacher wäre, ins Tal zu ziehen. Aber für Gina kommt das nicht in Frage:
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Hohe Hürden
Gina und Ginel träumen davon, ihre Zwei-Mann-Hütte auszubauen: Statt der vier Tische, wo Gina jetzt Gästen ihr Essen serviert, hätten sie gerne eine kleine Bergpension mit Schlafplätzen und einer Gaststätte. „Einen Ort, um die rumänische Gastfreundschaft zu demonstrieren!“ Dafür wollten sie auch Gelder von der EU beantragen, über den Fond für ländliche Entwicklung, für den die EU von 2007 bis 2013 knapp zwei Milliarden Euro bereitstellt. Ziel des Fonds ist unter anderem, durch Tourismus neue Arbeitsplätze zu schaffen. Auch Gina und Ginel sollten 200.000 Euro bekommen, allerdings erfüllten sie letztendlich die Auflagen nicht. Bis zu sechs Leute hätten sie einstellen und ihnen den Mindestlohn zahlen müssen. Dafür fehlt ihnen einfach das Geld.
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Doch auch wenn es bei ihnen nicht funktioniert hat, ist Ginel froh, dass es die Entwicklungsfonds der EU gibt. Früher gab es in Busteni eine große Papierfabrik. „Als die Fabrik schließen musste, wurden viele arbeitslos“, sagt Ginel. Mit EU-Geldern wurde der Tourismus angekurbelt: Jetzt ist es ein beliebtes Skigebiet, im Ort sind diverse Hotels und Pensionen entstanden.
Ginel trinkt seinen Palinka aus, schaut besorgt aus dem Fenster. Dunkle Wolken haben sich gebildet, der Wind rüttelt an der Hütte. „Ihr solltet lieber nicht bis zur letzten Seilbahn warten“, sagt er. „Wenn es richtig stürmt, fährt sie nicht mehr und ihr sitzt hier oben fest.“ Wer weiß – vielleicht wären wir dann auch zwanzig Jahre geblieben.